Esquiva Falcao: der Spätberufene

Als Amateur hat sich der brasilianische Mittelgewichtler seine Meriten verdient. Nun will Esquiva Falcao endlich auch im Profilager zu Titelehren kommen. BOXSPORT stellt den Rechtsausleger vor, der mit unkonventionellen Methoden das Boxen erlernte.

Esquiva Falcao (links) am 1. März 2020 in Sao Paul o gegen Daniel Miranda (Foto: IMAGO / ZUMA Wire)
Esquiva Falcao (links) am 1. März 2020 in Sao Paul o gegen Daniel Miranda (Foto: IMAGO / ZUMA Wire)

Hören Fußballfans den Namen „Falcao“, schnalzen sie mit der Zunge. Da wäre zum Beispiel der kolumbianische Stürmerstar Radamel Falcao, der schon für zahlreiche Topklubs in Europa auf Torejagd ging. Oder auch Mittelfeld-­Virtuose ­Paulo Roberto Falcao, der in den 1980er-Jahren die Fäden in der brasilianischen „Selecao“ zog. Aber ein Falcao im Boxen? Kennen nicht allzu viele. Dabei ist Esquiva Falcao Florentino, der am 1. Juli gegen Vincenzo Gualtieri um die vakante Mittelgewichts-WM der IBF kämpfen wird, schon eine halbe Ewigkeit im Boxsport unterwegs.

Wie der Vater so der Sohn

Geboren wurde Esquiva am 12. Dezember 1989 in Serra im Bundesstaat Espirito Santo. Sein Vater Adegard Florentino, einst selbst ein hartgesottener Faustkämpfer, legte seinem Söhnchen nach der Geburt gleich ein Paar Boxhandschuhe in die Wiege. „Der erste Boxsack, den er hatte, war die Brust seiner Mutter“, erzählt der Senior, der in Brasilien unter dem Kampfnamen „Touro Moreno“ eine Legende ist. Insgesamt 18 Kinder zeugte der Ring-Veteran mit zwei verschiedenen Frauen. Adegard lebte früher auf der Straße und der Hunger war sein ständiger Begleiter. Doch der ehemalige Boxer hatte einen Traum, an dem er stets festhielt: Seine Jungs sollten eines Tages Champions werden.

Zwei seiner Söhne wurden tatsächlich erfolgreiche Boxer: Esquiva und der zwei Jahre ältere Yamaguchi. „Die Jungen haben mich für das Leben aufgebaut“, sagt Adegard stolz. „Sie sind die Ernte meines Lebens.“ Der Vater lässt die beiden schon in früher Kindheit hart trainieren und improvisiert. So stellt er im Haus der Familie Zementblöcke auf, die die Abgrenzungen eines Ringes darstellen sollen. Für einen Boxsack fehlt das Geld, deshalb dreschen die Falcao-Brüder regelmäßig auf einen Bananenbaum ein. Und um die Muskeln seiner Jungs zu stärken, fertigt Adegard Hanteln aus Beton an. Die Nahrung seiner Hoffnungsträger? „Bestand aus Bohnen, Reis und jeglicher Art von Grünzeug“, erzählt der alte Ringfuchs.

Erfolgreiche Brüder: Hier posieren Esquiva Falcao (l.) und sein Bruder Yamaguchi Falcao (r.) in Brasilia nach ihrer Rückkehr von den Olympischen Spielen 2012 mit der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff. (Foto: IMAGO / Xinhua)
Erfolgreiche Brüder: Hier posieren Esquiva Falcao (l.) und sein Bruder Yamaguchi Falcao (r.) in Brasilia nach ihrer Rückkehr von den Olympischen Spielen 2012 mit der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff. (Foto: IMAGO / Xinhua)

Erste Erfolge als Amateur

Esquiva Falcao denkt oft an diese Zeiten zurück. „Meine ersten Erinnerungen ans Boxen verbinde ich mit dem ,Bananeira’, den ich oft besiegt habe“, lächelt er. Er ist 13 Jahre alt, als er mit dem Wettkampf-Boxen beginnt. Obwohl von Natur aus Rechtshänder, boxt Esquiva als Southpaw. „Mein Vater hat mir diese Kampfweise beigebracht.“ Auch im Namen von Esquiva, der heute selbst Vater von zwei Söhnen und einer Tochter ist, findet sich die Box-Leidenschaft seines alten Herren wieder. Im Portugiesischen bedeutet „esquiva“ so viel wie „ausweichen“ oder „vermeiden“. „Einem Schlag auszuweichen ist sehr wichtig beim Boxen“, weiß Adegard. Neben einem ordentlichen Punch zählt diese Fähigkeit zweifelsohne zu den Stärken Falcaos.

Für Esquiva macht sich die harte Arbeit bezahlt. Er wird ein erfolgreicher Amateurboxer und bestreitet nach eigenen Angaben 230 Amateurkämpfe, „von denen ich 215 gewann“. Bei den Amateur-Weltmeisterschaften 2011 in Baku (Aserbaidschan) gewinnt er Bronze. Ein Jahr später, bei den Olympischen Spielen, erobert er mit 22 Jahren Silber im Mittelgewicht, sein älterer Bruder Yamaguchi holt Bronze im Halbschwer. Im ­Finale von London muss sich der Rechtsausleger allerdings – wie schon ein Jahr zuvor bei der WM – dem Japaner Ryota Murata geschlagen geben.

Esquiva Falcao hat noch eine Rechnung offen

Im Finale bei den Olympischen Spielen 2012 in London unterliegt Esquiva Falcao (rot) dem Japaner Ryota Murata und holt die Silbermedaille für Brasilien. (Foto: MAGO / Kyodo News)
Im Finale bei den Olympischen Spielen 2012 in London unterliegt Esquiva Falcao (rot) dem Japaner Ryota Murata und holt die Silbermedaille für Brasilien. (Foto: MAGO / Kyodo News)

Gerne hätte Falcao, der 2014 einen Profivertrag bei Bob Arums „Top Rank“ unterschrieb, diese alte Rechnung schon beglichen, doch das muss noch warten. Im April letzten Jahres verlor Murata die Titelvereinigung mit IBF-Weltmeister Gennady Golovkin und war damit seinen Status als WBA-Champ im Mittelgewicht los. „Ich glaube nicht, dass Murata gegen mich kämpfen würde“, hatte der Brasilianer vor diesem Duell gemutmaßt. „Eher würde er den IBF-Titel abgeben, bevor er wieder gegen mich antritt.“ Sieger Golovkin wiederum legte inzwischen seine beiden Gürtel im Mittelgewicht nieder, weshalb Falcao nun am 1. Juli gegen Vincenzo Gualtieri um den vakanten Gürtel der IBF boxen wird.

Olympiazweiter in der Warteschleife

Überhaupt dauerte es recht lange, bis der Olympiazweite von 2012 als Profi in die Reichweite eines Titelkampfs gelangte. 15, vielleicht 20 Kämpfe dauert es im Preisboxen, dann sind ­medaillendekorierte Ex-Amateure wie er in der Regel am Ziel. Nicht so Falcao: Bei ihm waren es 30 Fights und fast neun Jahre als Boxprofi, ehe ein WM-Kampf endlich feststand. Dabei war der 33-Jährige am 28. August 2021 schon einmal auf dem Weg in Richtung Titelfight, als er einen IBF-Eliminator gegen Patrick Wojcicki bestreiten sollte. Doch der Wolfsburger verletzte sich damals, schließlich wurde das geplante Duell mit Falcao gänzlich gestrichen.

Falcao, der gerne aus der ­­Bibel zitiert, hat in den vergangenen Jahren gelernt, sich in Geduld zu üben. Er vertraut auf Psalme wie „Der Herr ist mein Hirte, und es wird mir an nichts fehlen“. Für ihn ist alles Gottes Plan, wie er gerne betont. Doch bei aller Geduld, die Esquiva ­Falcao als Boxer immer wieder bewiesen hat, unterschätzen sollte ihn niemand. Denn „ich habe noch eine Menge zu zeigen“.

Text: Frank Schwantes

Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 6/23 des BOXSPORT-Magazins.

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