Jaron Ennis: Der neue Roy Jones jr.?

Jaron „Boots“ Ennis hat alles, was ein Box-Star braucht – bis auf die Chance, sich zu beweisen. Warum das Ausnahmetalent aus Philadelphia in Warteposition ist und wieso er zum Angstgegner von P4P-Star Terence Crawford werden könnte.

Mit einer K.o.-Quote von mehr als 90 Prozent gilt Jaron Ennis als einer der gefährlichsten Fighter im Weltergewicht. (Foto: Getty Images / Jayne Kamin-Oncea)

Geht es um den derzeit besten Pound-for-Pound-Boxer der Welt, dann kann die Antwort wohl nur Terence Crawford heißen. Dessen Vorgänger auf dem Thron, Box-Superstar Saul „Canelo“ Alvarez, fiel in den letzten Jahren durch Match-Ups auf, die keine große Herausforderung für ihn waren. So auch beim anberaumten Cinco-de-Mayo-Fight, in dem Canelo gegen seinen ehemaligen Stallkollegen Jaime Munguia antritt. Dabei schreien Fans seit Jahren nach einem Kräftemessen zwischen Alvarez und K.o.-Monster David Benavidez. Und Jaron „Boots“ Ennis könnte für Crawford das werden, was Benavidez für Canelo ist.

Der 26-Jährige aus Philadelphia trägt bereits einen der Weltergewichtsgürtel, die Crawford als Undisputed Champ nach seinem Fabelsieg über Errol Spence jr. im Juli 2023 sein Eigen nennen durfte. Weil „Bud“ jedoch das kassenträchtige Rematch gegen seinen Erzrivalen wichtiger war als eine Pflichtverteidigung des IBF-Gürtels, erkannte der Verband ihm das gute Stück im November ab und gab es an den Interims-Champ im Limit ab, nämlich Ennis. Der hat den Interims-Gürtel im Januar 2023 mit einem einstimmigen Punktsieg über Karen Chukhadzhian gewonnen und im Juli mit einem K.o. in der Zehnten gegen Romain Villa verteidigt. Der Gürtel ist für Boots wichtige Verhandlungsmasse, kann er sich doch als legitimer Anwärter auf den Thron von Crawford fühlen.

Im Januar 2023 sicherte sich Jaron Ennis (r.) durch einen einstimmigen Punktsieg über Karen Chukhadzhian (l.) den Interims-Titel der IBF, gewann dabei jede einzelne Runde. (Foto: IMAGO / ZUMA Wire)

Warten auf den großen Fight

Tatsächlich haben er und sein Rivale einiges gemeinsam. Da ist zum einen das große Talent, zum anderen das lange Warten auf die großen Kämpfe. Crawford musste mitansehen, wie der erhoffte Fight gegen Box-Legende Manny Pacquiao nie zustande kam, das Match gegen Erol Spence jr. erst nach Jahren des Wartens, obwohl die Fans sehnsüchtig auf beide Kämpfe hinfieberten. Bud schoss seinen Promoter, den legendären Bob Arum, aus Frustration darüber in den Wind und konnte erst im Alter von 35 Jahren auf dem Pound-for-Pound-Thron ankommen.

Auch Boots hat zwar eine makellose Bilanz, wartet aber ebenfalls sehnsüchtig auf die ganz großen Chancen. Als Teenager gewann er beim renommierten Golden-Gloves-Turnier 2014 Silber und 2015 Gold im Halbwelter, 2016 wurde er im Alter von gerade einmal 18 Jahren Profi im Welter. 31 Siege in ebenso vielen Profikämpfen, 28 davon durch K.o. – letzteres gerade für jemanden in dieser Gewichtsklasse ein beeindruckendes Ergebnis. Nur zwei seiner Fights, nämlich die letzten beiden, gingen über die sechste Runde hinaus. Doch der richtige Prüfstein, der richtig harte Knochen, der fehlt dem 26-Jährigen, der gern mit dem jungen Roy Jones jr. verglichen wird, noch in seinem Kampfrekord.

Ennis – ein kompletter Boxer

Das liegt nicht unbedingt an Ennis, der zu den meistgemiedenen Boxern der letzten Jahre zählt. Er gilt als „high risk, low reward“-Gegner: Mit seinem hohen Ring-IQ, seiner Schlagkraft und seinen technischen Fertigkeiten ist er das komplette Paket, also ein hohes Risiko für jeden Gegner, als vermeintlich ungetesteter Fighter gibt es mit einem Sieg über ihn noch nicht allzu viel Prestige zu holen. Wohl auch ein Grund, warum Crawford immer wieder abwinkt, wenn es um das Talent aus Philadelphia geht. „Er boxt nur gegen das, was wir übriggelassen haben“, ließ sich Crawford-Trainer Brian „Bomac“ McIntyre im Februar aus, als Reporter ihn auf Ennis ansprachen. „Warum sollte Bud einen Schritt zurückgehen wollen? Bud sucht nach größeren und besseren Fights, damit er seinen Namen verewigen kann.“

Dieser Wunsch ist Crawford nicht zu verübeln, nähert er sich als 36-Jähriger doch langsam dem Ruhestand. Er denkt bereits offen über die Box-Rente nach und will vorher noch ein paar richtige Blockbuster-Kämpfe hinlegen. Da passt ein gefährlicher Geheimtipp wie Ennis schlecht in den Fahrplan. Für Ennis-Vorbild Roy Jones jr. wäre dieses Match allerdings genau das richtige, für beide Parteien. „Wir haben Boots Ennis noch nicht im Kampf gegen einen Typen gesehen, der sein Kinn getestet hat“, erklärte die Box-Legende gegenüber Youtube Sports Media. Recht hat er: Crawford ist ein schlagstarker Finisher, der auch schon zähe Brocken in den Ringstaub schickte. „Das ist die einzige Sache, die wir noch nicht über ihn wissen. Ob er einen echten Punch einstecken kann. Aber in Sachen Box-Qualitäten hat er alles.“ Der Hall-of-Famer fuhr fort: „Das würde ein echt schwerer Fight, denn Boots hat alles. Wenn ein Kerl das Talent und dieses hohe Box-Niveau hat, dann kann alles passieren, aber versteht mich nicht falsch, Bud hat diese Qualitäten ebenfalls. Das wäre ein großartiger Kampf.“

Raus aus dem Schatten

Nicht nur Fans und Experten haben Boots auf dem Zettel, sondern auch Promoter. Der 26-Jährige befindet sich gerade im Rechtsstreit mit seinem Stall NOW Boxing, dem er – die nächste Crawford-Parallele – mangelndes Engagement und zu wenig Kampfgelegenheiten vorwirft. Noch dazu habe Kellie Dunkin, die Witwe des im Januar verstorbenen NOW-Boxing-Chefs Cameron Dunkin, als neue Inhaberin nicht genug Erfahrung. Sollte Ennis die Trennung gelingen, stände mit Box-Impressario Eddie Hearn schon ein großer Name im Business bereit. Der umwirbt das Ausnahmetalent seit Monaten. „Ich brauche zwölf Monate, um aus dem Jungen einen Superstar zu machen. Ich muss ihn heim nach Philadelphia bringen und dort in ausverkauften Stadien boxen lassen. Aber wenn man einen derartig guten Boxer hat, dann kann man so einfach zusammen planen, denn er kann jeden schlagen“, schwärmte der Matchroom-Boss im Gespräch mit MMA Hour. „Er ist Amerikaner, er sieht toll aus, er hat Style, er hat Power, er hat Speed.“

Der nächste Fight für den Switcher, der in beiden Auslagen boxen kann, steht bereits fest, eine Titelverteidigung gegen den bisher unbesiegten Kanadier Cody Crowley. „BoxingScene.com“ zufolge will Premiere Boxing Champions (PBC) auf den Kampf bieten, um ihn als Co-Main-Event für Canelo vs. Munguia anzubieten. Es könnte der nächste Karriereschub sein, um Ennis einem noch größeren Publikum bekanntzumachen. Vielleicht der entscheidende Schritt für das heiß erwarte Match Bud vs. Boots. Oder die Chance mehr zu werden als nur der Fighter in Crawfords Windschatten.

Text von Nils Bothmann