Fai Phannarai – Diamantenfieber (Teil 1)

Früh lernte Fai Phannarai, sich in Deutschland sprichwörtlich durchzuboxen. Spätestens seit dem WM-Gewinn im letzten Jahr steht das Ausnahme-Talent mehr denn je im Fokus. BOXSPORT gibt Einblicke in das Leben der ehrgeizigen 22-Jährigen – und verrät, welche sportlichen Ziele sie hat.

Am 10. Juni 2019 feiert Fai Phannarai (r.) ein erfolgreiches Heimdebüt gegen Sanja Cebic (l.). (Foto: IMAGO / Torsten Helmke)

„Große Freiheit 36“, Partystimmung am Sonntagnachmittag. Rund 1.600 Fans heizen in der ausverkauften Hamburger Kiez-Disco den Boxern ein. Die 22-jährige Fai Phannarai, die für den Stall „Boxen im Norden“ antritt, bestreitet an diesem 30. April den fünften Kampf einer üppig besetzten Card. Unter den Augen von Promoter Thomas Nissen geht es für die Superbantamgewichtlerin in einem Stay-busy-Fight gegen Hasna Tukic. Doch nach nur 39 Sekunden der zweiten Runde ist dieser Aufgalopp schon wieder beendet, ein Schlaghagel auf die Rippen lässt die Bosnierin zu Boden sinken. Die Ärzte diagnostizieren einen Rippenbruch – T.K.o.-Sieg für Phannarai und ein weiterer Erfolg für ihren makellosen Kampfrekord (13-0-0, 6 K.o.). „Ich habe mich gut vorbereitet und hätte gerne länger geboxt“, gibt die in Franken lebende Profiboxerin genervt zu Protokoll.

Geboren wird Fai Phannarai Netisri im bäuerlich geprägten Norden Thailands in der Khon-Kaen-Region. Ihre Mutter Wan zieht früh nach Deutschland, Fai wächst in der Folge bei ihren Großeltern in Thailand auf. Großvater Laan, ein Thaibox-Meister, trainiert sein Enkelkind ab dem fünften Lebensjahr täglich mit allen Varianten der fernöstlichen Kampfkunst. In einem Mix aus Freude und Ehrgeiz reift Fais boxerisches Fundament heran. Mit elf Jahren wird das Mädchen von ihrer Mutter nach Deutschland geholt. Zunächst geht es nach Hamburg, später ins Fränkische. Bereits mit 14 Jahren vollendet Fai ihren Hauptschulabschluss. „Asiatische Disziplin gepaart mit deutscher Verlässlichkeit, dazu immer gut gelaunt – das macht Fai allseits beliebt“, weiß Nissen. Die junge Boxerin freut sich über das Kompliment. „Respekt, Disziplin und Freundlichkeit darf man als selbstverständlich erwarten“, sagt sie. Fai ist überzeugte Buddhistin und findet in dieser Grundeinstellung zu sich selbst.

Erste Schritte im Ring

Seit ihrem 15. Lebensjahr trainiert Phannarai bei Jiri Resl, einem früheren tschechischen Schwergewichtler. „Jiri ergänzt meine Fähigkeiten mit den Anforderungen des Boxens auf internationaler Ebene“, erklärt Fai. Als sie 18 Jahre alt ist, boxte die 1,61 Meter große Sportlerin auf einem Open-Air-Event des tschechischen Verbandspräsidenten Lukas Koneczny in Usti nad Labem. Dort sieht Nissen, „wie die viel kleinere Fai die wesentlich größere Pragerin Domenika Novotna nach Strich und Faden vermöbelte“.

Auch Phannarai erinnert sich gut an dieses Wochenende. „Wir übernachteten auf der anderen Elbseite im ehemaligen Schlösschen der österreichischen Kaiserin Sissi. Beim Frühstück sprach mich dann Thomas Nissen an, ob ich nicht Lust hätte, einmal in Hamburg zu boxen.“ Es war einer der sprichwörtlichen Zufälle und eine Weichenstellung für die weitere Karriere.

In der „Großen Freiheit 36“ gibt Fai Phannarai gegen die Belgraderin Sanja Cebic ihr Heimdebüt. „Die Halle tobte. Fai riss die Boxkenner quasi von den Stühlen“, blickte der Promoter zurück. Auch der 2022 verstorbene Jürgen Blin attestierte Fai großes Potenzial. „Sie hat enorme Fähigkeiten und die Chance auf eine große Zukunft im Seilgeviert“, so der Hamburger Ex-Europameister und frühere Ali-Gegner. In der Tat: Phannarai besetzt immer die Ringmitte, ist stets schwer angreifbar und flink auf den Beinen. Und sie ist in der Lage, außergewöhnliche Schläge zu setzen, die man sonst nur selten im Ring sieht. „Ihre Schlagkombinationen sind enorm schnell und kommen schon jetzt häufiger als bei Susi Kentikian, die darin Weltspitze darstellte“, analysiert Thomas Nissen. „Sie ist wirklich ein Diamant.“ So entsteht auch ihr Kampfname: „The Diamond“.

Teil zwei findet ihr hier.

Text: Harald Becker / Frank Schwantes

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